Tag 11 – Harter Tobak: Katzenmord und Arachnophagie!

Die Kutsche ist unterwegs, und auch wenn Jean Paul gestern noch auf ungeduldige Leser schimpfte, will ich heute auch ein bisschen Strecke machen und nehme mir zwei Sümmchen (Summula) vor, schließlich gibt es nach der Badereise noch einiges mehr zu lesen. Vor allem das zehnte Kapitel ist sehr lustig, ein toller Auftritt vom misanthropischen Zergliederer Katzenberger.

Außerdem führe ich ein neues Feature ein: Ganz kurze Zusammenfassungen für eilige Leser, da mir schon zugetragen wurde, dass meine Texte viel zu lang sein, um sie ganz zu lesen.

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(Ich hab mein Reclamheft wiedergefunden! Es lag auf … ach, ist ja auch egal.)

9.Summula, Halbtagsfahrt nach St. Wolfgang.

Wie Theudobach, der Dichter, sei, fragt Theoda den Herrn von Nieß.
„Sehr liebenswert“, versichert der, „lebt für die Kunst und überdies
sieht er genauso aus wie ich.“

Doch Nießens Taktik scheitert schon, enttäuschend ist die Reaktion
und Katzenbergers erste Braut verließ ihn, weil er Käfer kaut
sie fand es allzu ekelig.

10. Summula, Mittags-Abenteuer.

Die Kutsche hält zur Mittagsrast – im Gasthaus ist man nicht erfreut.
Elf mal schon war der Doktor Gast, die Wirtin hat es stets bereut.

Die Fresslust packt den Anatomen, bei Tische ist er nicht bescheiden
und zum Kompott stiehlt er zwei Kätzchen, um sie des Abends aufzuschneiden.

Ein neuer Gast erreicht den Hof, der schwange’rn Bona Ehemann
Theoda fragt den Herrn Papa, ob er ein Stückchen mitfahr’n kann
Der Doktor ruft: „Auf keinen Fall“, hört trapsen wohl die Nachtigall
dass dieser unterm Kutschendache, ihn doch noch zum Gevatter mache.

(Nein, nein, ich reime jetzt nicht jeden Tag, mir war nur grad so.)

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(Unspektakulär, aber schön: Jean Pauls Grab auf dem Stadtfriedhof.)

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(Stadtfriedhof Bayreuth)

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9.Summula, Halbtagsfahrt nach St. Wolfgang.

In der Kutsche löchert Theoda den Dichter mit Fragen nach ebendiesem, ohne zu wissen, dass er es ist. Von Nieß nutzt die Gelegenheit sich selbst in gutes Licht zu rücken und fügt an, dass er selbst Theudobach so ähnle, dass „er sich oft Theudobachs Körper nenne“. Theoda betrachtet ihn fasziniert, denkt aber daran, wie ihr Theudobach einmal im Traum erschien, und so ganz anders aussah, als dieser Mann ihr gegenüber. Katzenberger wirft ein, dass der Dichter, um seiner Tochter zu gefallen, anders aussehen müsste („die Nasenwurzel des Poeten und die Nasenknorpel samt Knochenbau etwas stärker und breiter […] als bei Ihnen“), da er in seinen Werken offenbar ein etwas anderes, schmeichelhaftes Bild seines Äußeren gezeichnet habe.

Dann kommt wieder einer dieser Sätze, die einem (oder zumindest mir) beim ersten, schnelln Lesen einen Knoten ins Gehirn machen – was ja nichts schaden kann: Je verschlungener und verknorkelter so ein Gehirn ist, desto besser funktioniert es.

Wenn also der Schleicher etwa, wie ein Doppeladler, zwei Kronen durch seine Namen-Maske auf den Kopf bekommen wollte, eine jetzige und eine künftige: so ging er sehr fehl, daß er den Menschen ein paar Tage vor dem Schriftsteller abgesondert vorausschickte; denn jener verhärtete in Theodas Phantasie und ließ sich spröde nicht mehr mit diesem verarbeiten und verquicken, indes umgekehrt bei einer gleichzeitigen ungeteilten Vorführung beider das Schriftstellerische sogleich das Menschliche mit Glimmer durchdrungen hätte.

Ist ja eigentlich gar nicht so kompliziert, zumindest, wenn ich es richtig verstanden habe: Nieß/Theudobach will die Herzen der Menschen und insbesondere Theodas zweimal zu erobern: Erst als „normaler Mensch“ und dann, seine wahre Identität enthüllend, als Künstler. Hätte er sich jedoch gleich als Mensch und Künstler vorgestellt, wäre das Ergebnis mehr gewesen, als die Summe seiner Teile, während nun der Mensch Nieß den Blick auf den Dichter Theudobach verstellt.

Manchmal halte ich es genauso wie Nieß/Theudobach. Naja, nicht genauso. Ich behaupte nicht, jemand anders zu sein, noch dazu ein guter Freund von diesem Volker Strübing, um mich auf diese Weise anonym an Huldigungen meiner Person zu laben (schon aus Angst vor diesbezüglichen Enttäuschungen). Aber wenn ich jemanden kennenlerne, drängele ich ihm auch nicht sofort meinen Beruf auf, um mein Menschliches mit schriftstellerischem Glimmer zu durchdringen.

Die meisten Menschen lerne ich allerdings durch meine Arbeit kennen, so dass eine sofortige Glimmerdurchdringung in der Regel gewährleistet ist. Wie strahlend dieses Geglimmer ist, ist eine andere Frage; es gibt Berufe mit höherem Glimmerfaktor: Schauspieler, Supermodel, US-Präsident, Wetteransager, Programmierer, Astronaut, unfreiwilliger Youtube-Star, Papst etc., etc., wer einen davon ergattert hat, wird auch nicht gefragt, was er denn „wirklich“ mache, bzw. wovon er denn lebe.

Nieß hat im folgenden einige Demütigungen einzustecken, als er erfährt, dass Theoda nicht allzuviel und Katzenberger gar nichts von Theudobach gelesen haben. Außerdem lesen wir von frühen poetischen Versuchen Dr. Katzenbergers selber, an denen seine Jugend der Liebe geschuldet waren. Der Liebe zu „einem dummen Ding von Mädchen – Gott weiß, wo die Göttin jetzt ihre Ziegen melkt. – Ich stellte ihr die schöne Natur vor, die schon dalag, und warf die Frage auf: Sieh, Suse, blüht nicht alles vor uns wie wir, der Wiesenstorchschnabel und die große Gänseblume und das Rindsauge und die Gichtrose und das Lungenkraut bis zu den Schlehengipfeln und Birnenwipfeln hinauf? Und überall bestäuben sich die Blumen zur Ehe, die jetzt dein Vieh frißt!“

Außerdem wird Katzenberger als Naturliebhaber vorgestellt. Gerade deshalb habe ihn seine erste Braut verlassen: Weil er zum Beweis, wie sehr er die Natur liebt, einige Maikäfer „von den Bäumen abgepflückt und sie vor ihren Augen ausgesogen und genossen“ haben.

Verlorene Praxis:

– bei Regen den Diener in der Kutsche mitfahren lassen, um seinen langen Rock zu schonen.

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(Nennt mich pietätlos, aber für einen Friedhof ist das schon ein ulkiges Schild, oder?)

10. Summula, Mittags-Abenteuer

„Gewöhnlich fand der Doktor in allen Wirtshäusern bessere Aufnahme als in denen, wo er schon einmal gewesen war.“ Das Gasthaus St. Wolfgang sucht er bereits zum zwölften Male heim, gehasst wird er dort seit seinem ersten Besuch. Grund war auch damals seine Liebe zur Natur, besser gesagt seine kulinarische Liebe zu Krabbeltieren: Er hatte nämlich im ganzen Wirtshaus „umhergestöbert […], um fette runde Spinnen zu erjagen, die für ihn […] Landaustern und lebendige Bouillon-Kugeln waren, die er frisch aß.“

DSC00460(Nach soviel Katzenberger sehe ich plötzlich überall Insekten, zum Beispiel diese Gottesanbeterin vor dem Schloss.)

Diesmal beschränkt er sich auf die angebotene Kost, die verwitwete Wirtin ist allerdings wenig begeistert, als er mit der Butter nicht nur sein Brot bestreicht, sondern auch seine Stiefel einfettet, und den gesamten Inhalt der Zuckerdose einsackt, angeblich weil er den Zucker „aus guten Gründen“ erst nach dem Kaffee in der Kutsche zu sich nehmen wolle.

Anschließend versucht er ein oder zwei Katzenbabys zu stehlen, um sie abends im Nachtlager zu wissenschaftlichen Zwecken aufzuschneiden „nachdem er vorher ihnen in der Tasche aus Mitleiden […] die Köpfe einigemal um den Hals gedreht hätte.“

Dabei wird er dummerweise von der Wirtin erwischt, dien nun auch zweifelsfrei weiß, weshalb nach Katzenbergers letztem Besuch die Kätzin verschwunden war.

Von Nieß durchstöbert unterdessen die Leihbibliothek der Gasthauses nach seinen eigenen Werken, ist hocherfreut, diese zu finden und signiert sie heimlich.

Da taucht ein weiterer Gast auf: Mehlhorn, der Ehemann von Theodas schwangerer Freundin Bona, der wenig schmeichelhaft beschrieben wird: Er ist „kein Mann von glänzendem Verstande […], und seine Ausgaben der Langeweile überstiegen weit seine Einnahmen derselben“ – heute würde man wohl von einer positiven Langeweilehandelsbilanz bzw. einem Langeweile-Exportüberschuss sprechen.

Da Mehlhorn in die selben Richtung wie unsere Reisegesellschaft unterwegs ist (allerdings zu Fuß), versucht Theoda mit Nießens Unterstützung, den Vater davon zu überreden, ihn ein Stück mizunehmen. Doch da beißen sie auf Granit. Katzenberger fürchtet erstens, dass ihm auf diese Weise doch noch die Patenschaft („Gevatterschaft“) über dass Kind von Bona und Mehlhorn übergeholfen werden soll, und zweitens erträgt er den Anblick des schlichten und sanften Mannes nicht: „schwachmütige Männer aber […], konnt‘ er nicht gut sich gegenüber sehen“.

Lieblings- und längster Satz:

Und hier erzählt‘ er weitläuftig mit Berufen auf Theoda, daß er selber mehre Katzenmütter halte und solche, anstatt sie zu zerschneiden, väterlich pflege, damit er zur Ranzzeit gute starke Kater durch die in einer geräumigen Hühnersteige seufzenden Kätzinnen auf seinen Boden verlocke und diese Siegwarte neben den Klostergittern ihrer Nonnen in Telleroder Fuchseisen zu fangen bekomme; denn er müsse als Professor durchaus solche Siegwarte, teils lebendig, teils abgewürgt, für sein Messer suchen, da er ein für seine Wissenschaft vielleicht zu weiches Herz besitze, das keinen Hund totmachen könne, geschweige lebendig aufschneiden wie Katzen.

Verlorene Praxis:

– um den Vater zu überreden, einen Edelmann zu Hülfe rufen

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(Überall Jean-Paul-Bezüge. Auch wenn Katzenberger nie so weit gegangen wäre, da er zwar Katzen lebendig aufschneiden, aber keinen Hund totschlagen kann.)

2 Kommentare zu “Tag 11 – Harter Tobak: Katzenmord und Arachnophagie!

  1. Lieber Stadtschreiber! Spannender als den Nachhilfeunterricht in Sachen Jean Paul finde ich Ihre eigenen Reflexionen über Stadt, Land und Leute. Davon wünsche ich mir mehr. Wenn ich Jean Paul lesen will, kaufe ich mir seine Bücher oder gehe in die Stadtbibliothek. Nichts für ungut!
    Der Mann aus dem «Netto» in der Badstraße.
    PS Die Fotos sind prima

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