Tag 36 – Der Schiri is a Semmel!

Tagebuch, 11.3., Montag, 10.00 Uhr

Das Schöne ist ja, dass mich hier in Bayreuth niemand kennt, hier kann ich also alle möglichen Sachen anstellen, die ich in Berlin niemals machen würde: Zu einem Studentenfasching gehen, bei einer Straßenumfrage zum Thema Apothekenfinanzierung mitmachen, in den Wagner-Clan einheiraten, was sich eben so ergibt. Am Sonnabend war ich nun das erste mal seit 26 Jahren bei einem Fußballspiel. Die SpVgg Bayreuth gegen … die in Rot.

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Ich wurde vorgewarnt: „Das wird sicher total langweilig, typischer Provinzfußball. Null zu null, schätze ich.“ Das sagte nicht etwa ein bundesligastadionverwöhntes Großstadt-Großmaul, sondern ein Mitglied vom Fanclub Altstadt-Kult. Überhaupt scheinen sich die Oldschdod-Menschen durch einen hübschen fatalistischen Enthusiasmus, wenn nicht gar durch enthusiastischen Fatalismus auszuzeichnen. Ich weiß nicht, ob dass typisch fränkisch ist, oder nur typisch SpVgg. Es herrschte fröhliches Genörgel und gutgelaunte Welt-(oder zumindeste Altstadt-)Untergangsstimmung. Ich fühlte mich ein bisschen an die meckernden Alten aus der Muppet-Show erinnert, die letztlich ja auch immer Spaß haben und auf ihre Kosten kommen. Zitat aus dem Fan-Block: „Die Winterspielpause war scho gut.“ – „Ja, die ham’s dringend ‚braucht.“ – „Ned die. I. I hob di ‚braucht, und jetzt weiß i a wieder, warum!“

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(Semmel mit blutunterlaufenen Bratwurstaugen)

Das Spiel war jedenfalls spannender als angekündigt und überdies sehr ausgeglichen: Zwar schossen die Gäste vier Tore, dafür schickten die Bayreuther aber auch vier ihrer Gegner verletzt vom Platz, insgesamt also unentschieden, wenn ich als Fußballlaie das richtig verstehe. Keine Ahnung, warum der Nordbayrische Kurier heute von einem Fiasko schrieb.

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(Sieht jetzt vielleicht nicht so aus, ist aber während des Spiels.)

Eine Sache ist mir besonders im Gedächtnis geblieben, weil mich das große Herz der Altstadt-Fans so beeindruckt hat. Als einer der Roten über ein ganz unschuldig auf dem Rasen herumstehendes Bayreuther Bein stolperte und „Au!“ brüllte, ging eine Welle der Empathie durch die Reihen der SpVgg-Anhänger und gute drei Minuten lang bekundete die ganze Gegengerade ihr Mitgefühl durch laute „Au! Aua! Auuuu!“-Rufe, während der lädierte Gegner vom Feld humpelte. (Gegengerade ist doch das gegenüber der Haupttribüne, oder?)

Ich konnte beim Spiel die Liste der Berufe, die ich zum Glück nicht ausübe, um „Schiedsrichter“ ergänzen. Das ist ein Job für Masochisten. Der arme Mann musste sich einiges anhören, manches davon fiel nicht mehr ganz unter die Rubrik „Konstruktive Kritik“. Ein kleiner Junge neben mir sagte: „Der Schiri is a Semmel. Der is mit Leberkäs vollg’stopft. Der hat doch nur Brei im Kopp“, und das war auf gewisse Weise der überzeugendste Beitrag zur Schiri-Diskussion, da er ihn sehr ruhig und sachlich vorbrachte.

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Das Spiel an sich hatte eigentlich alles, was zu einem ordentlichen Fußballspiel dazu gehört: Leute, die hin und her rennen, einen Ball, Leute, die umfallen, einen Ersatzball, Leute, die rumstehen und wild gestikulieren, zwei Tore (eins rechts, eins links und in jedes davon kullerte der Ball gelegentlich, je nachdem, in welchem der Bayreuther Torwart gerade stand), eine mit 90 Minuten doch arg lange Spielzeit. Kurz: Ich als Laie konnte keinen Unterschied zu beispielsweise einem Bundesliga- oder WM-Final-Spiel erkennen. Nur die Superzeitlupen haben gefehlt, was schade war, die find ich sogar als bekennender Fußballmuffel toll, und es hat ja auch viele Stürze gegeben, die in der Wiederholung sicher sehr geil ausgesehen hätten.

Was soll ich sagen: War insgesamt ein sehr schöner Nachmittag, besonders auch die Zeit vor und nach dem Spiel (einen herzlichen Dank an den Altstadt-Kult!), und nicht zuletzt eine prima Ausrede, um schon 14.00 Uhr Bier zu trinken. Ich komm wieder!

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Strübing liest Paul

… schreibt aber nicht viel dazu, weil ich heute einfach nicht mehr dazu komme. Zum Glück sind die drei Kapitel, die ich mir heute vorgenommen habe, nicht besonders wichtig für die Handlung oder die Charaktere. Wenn „Dr. Katzenbergers Badereise“ eine Dramaserie von HBO wäre, dann würde es wohl keine Szene aus diesen Summuli in den „Previously on Dr. Katzenberger“-Zusammenschnitt am Beginn der nächsten Folge schaffen.

Schön sind sie trotzdem, insbesondere der Vergleich zwischen Bühnen-Dichtern und Buch-Schreibern, aber das müsst ihr selbst lesen. Das 29. Summula erlaube ich mir hier ungekürzt zu zitieren:

Summula 29

Herr von Nieß.

Er kam nicht zum Abendessen.

4 Kommentare zu “Tag 36 – Der Schiri is a Semmel!

  1. Sehr schön beschrieben. Man hätte als letztes Bild vielleicht noch die Anzeigetafel mit dem Endstand einfangen können, um beim Leser dieses „gewohnte Gefühl“ zu erzeugen.

    Der Fatalismus ist natürlich fränkisch. Bei der „Olschdod“ ist er aber besonders ausgeprägt, weil er berechtigt ist. Wenn ich mich recht erinnere, war er erst einmal unberechtigt, und das war beim 1:0 Pokalsieg über Bayern München. Ist aber schon eine Weile her. Der Platzwart hatte damals extra Schnee auf den Rasen gekippt, um die schnöseligen Schönwetterfußballer aus München zu verwirren. Das Ergebnis sprach für ihn.

    Weiterhin erinnere ich mich an einen Berliner (jaja), der in seiner Jogginghose immer auf der Gegengeraden (so heißt sie) stand und mit seiner vergleichsweise schneidenden „Berliner Schnauze“ die Spiele kommentierte. Er bildete so einen hübschen Kontrast zum doch eher verhaltenen und schicksalsergebenen Bayreuther Anhang und sorgte damals für ein gewisses internationales Flair im Block. Wobei „Block“ einen unangemessenen Eindruck vermittelt, „lockeres Konglomerat von abwinkenden Bratwurstessern“ würde die Situation besser beschreiben.

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